Klagenfurt - Es reicht!

Emmas Aufstieg und Fall Kurzgeschichte von Christina JONKE

Über etwas schreiben von dem sie keine Ahnung hat ist ein Abenteuer nach ihrem Geschmack und genau das hat sie sich für den heutigen Tag vorgenommen: schreibend etwas Neues erleben ohne zu wissen, was dabei herauskommenwird.SowieeinMinister,dereinAmt übernimmt,ohnejegliche Vorkenntnisse zur Sache zu haben, denkt sie.

Aber wo ist der Platz, der sie inspiriert?

Draußen, auf einer sonnigen Terrasse ihres Lieblingscafés? Im Wald hoch über der kleinen Stadt gibt es einen kleinen schon halb verfallenen aber umso romantischeren Pavillon mit Blick auf den See? Direkt am See?
Nein, weiß sie plötzlich, nein. Solche Gedanken können nur von einer kühlen Meeresbrise frisch gehalten werden, über das türkisfarbige Wasser mit den kleinen, im Sonnenlicht glitzernden Schaumkronen zu ihr tanzen. Wie winzige temperamentvolle Marionetten steigen die nebelhaften Ideen durch die Haarwurzeln in den Kopf, ins Denken, in die Finger um auf der Tastatur Worte zu formen, die dann in Sätzen enden und eine Geschichte erzählen.

Also träumt sie sich ans Meer obwohl sie am See festsitzt. An einem See ohne Schaumkronen aber mit einer leichten Brise, die keine Marionetten hervorbringt sondern maximal einfache Fingerpuppen. Und die Geschichte, die sie nun aufschreibt ist eine, von der sie nur am Rande keine Ahnung hat. Eher so, wie alle Politiker ihr Amt angehen, mit einer Anhäufung von Halbwissen, Vermutungen, Gehörtem und ein bisschen guten Willen.

Sie schreibt also vom kometenhaften Aufstieg einer Haushaltshilfe zum Fernsehliebling der Nation. Das zumindest nimmt sie sich im entscheidenden Moment der Inspiration vor. Die Hände machen sich bereit Buchstaben für Buchstaben in die Tastatur zu tippen, da läutet das Telefon. Ihr Chef. Da muss sie abnehmen.

"Ja. Ja, in einer Stunde bin ich da", verspricht sie die Vertretung ihrer Kollegin in einer Lebensmittelkette zu übernehmen. Eigentlich ist sie nur für zwei Tage die Woche dort angestellt und verdient in dieser kurzen Zeitspanne gerade genug um über die alltäglichen Runden zu kommen. Den Großteil ihrer Zeit hat sie für ihre Leidenschaft, Geschichten zu erzählen, reserviert. Die ehrgeizige Haushälterin Emma - aha, nun hat ihre neue Figur also schon einen Namen - muss warten. Bis morgen.

Hätte sie - bezahlter Weise - die Lesungen im Literaturhaus halten dürfen, hätte die Stadt ihrem Verlag ein Kontingent an Büchern abgekauft und hätte sie das Arbeitsstipendium des Landes bekommen, dann könnte sie nun hier sitzen bleiben - nicht am Meer, aber doch immerhin am See - und Emmas Geschichte entwickeln, überlegt sie verärgert und wünscht sich wieder einmal, sie wäre in eine betuchte Familie hineingeboren, die ihr ein einfacheres Künstlerinnendasein ermöglichen hätte können.

Wer auch immer es im Kunstbetrieb zu etwas gebracht hat - also zumindest noch zu Lebzeiten - sonnt sich entweder im künstlerischen Ruhm oder materieller

Sicherheit aus familiärem Hintergrund, hadert sie mit ihrem Schicksal während sie sich mittels klappernden Fahrrads in ihr monetäres Fallnetz begibt.

Die Tür des Personalraumes schließt sich hinter ihr. Sie lässt sich vom duft eines frischen Arbeitsmantels umfangen, schlüpft in Gesundheitsschuhe und verwandelt sich in eine für die Kunden der Supermarktkette förmlich unsichtbare Frau, die unbemerkt dafür zu sorgen hat, dass es auch kurz vor Ladenschluss noch als frisches Brot verkaufte Aufbackware gibt. Als eine, die abends kiloweise Lebensmittel in den Container bringen und diesen dann sorgsam versperren soll, damit sich niemand daran gütlich tun kann.

Hier nimmt sie sich allerdings gerne ein wenig Freiheit heraus: heute fällt jenes Rendezvouz allerdings aus, das sie normalerweise an ihren Diensttagen sehr genießt. Immer montags und mittwochs, pünktlich zur Ladenschlusszeit warten Emira und ihre Tochter Birgül an den Containern und nehmen sich aus den sogenannten Abfällen was sie in ihre mitgebrachten Taschen hineinbringen. Sie treiben damit einen bescheidenen kleinen Handel. Sie bewundert die beiden Frauen für ihre Initiative. Leider wissen die beiden nicht, dass sie heute Dienst schiebt.

Birgül studiert mittlerweile Deutsch und will später Drehbücher fürs Fernsehen schreiben hat sie erzählt.
"Warum gerade fürs Fernsehen?"
Emira war in ihrer alten Heimat eine sehr bekannte Schauspielerin und hofft, dass sie nach dem Krieg ihre Kontakte wieder aufleben lassen und auch etwas für ihre Tochter tun kann, klärt sie auf.

Ach ja. Die Kontakte. Auch hier.

Emma ist völlig in den Hintergrund gerückt.

Am Abend zuhause vor der Tastatur weiß sie nichts mehr über die im sensiblen Augenblick entstandene Erfolgsgeschichte um Emma. Ein blinder Fleck mit bunt flirrenden Punkten, die sich nicht zu einem Ganzen zusammensetzen lassen wollen.

Aufgelöst. Ausgelöscht.

So ist das wohl, wenn man von etwas erzählen will, wovon man keinerlei Ahnung hat, denkt sie, schläft ein und träumt davon, wie sie am Meer sitzt, dem Rauschen der Brandung zuhört, die Zehen in den feinen Sand gräbt und eine Geschichte zu erzählen beginnt.





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